Stellungnahmen des IAAP D·A·CH

Gemeinsame Erklärung des European Disability Forum (EDF) und der International Association of Accessibility Professionals (IAAP) zu Accessibility Overlays 

Anmerkung: Dies ist eine inoffizielle deutsche Übersetzung des offiziellen englischsprachigen Statements (Originalversion in englischer Sprache)

Hinweis: In dieser Erklärung verwenden wir einige technische Begriffe. Diese werden am Ende in einem Glossar erläutert. 

Digitale Barrierefreiheit ist ein grundlegender Bestandteil einer inklusiven Gesellschaft. Barrierefreie Websites und Online-Dienste gewährleisten, dass individuelle Vorlieben und Bedürfnisse mithilfe von gängigen Geräten, Betriebssystemfunktionen oder der von den Nutzenden gewählten unterstützenden Technologie und Browser-Plugins erfüllt werden können. Künstliche Intelligenz und andere aufkommende Technologien haben ein großes Potenzial, die Barrierefreiheit und die unterstützende Technologie zu verbessern. Bisher kann jedoch keine dieser Technologien eine unzugängliche Website sofort korrigieren.

Auf dem Markt gibt es mehrere Technologieprodukte, die behaupten, die Barrierefreiheit von Websites zu verbessern. Einige dieser Produkte werden "Accessibility Overlays" genannt.

Für Menschen, die keine Spezialisten für digitale Barrierefreiheit sind, einschließlich Nutzenden, Entwicklern, Designern und Website-Besitzern, die Technologie kaufen, kann es schwierig sein zu verstehen, was Accessibility Overlays leisten können, und was nicht, welche Grenzen und potenziellen Risiken eine neue Technologie hat.

Ein Accessibility Overlay ist eine Art Werkzeug (Tool), das es Nutzenden ermöglicht, die Darstellung von Inhalten auf einer Website zu ändern. Accessibility Overlays fügen einzelnen Websites zusätzliche Funktionen hinzu, wie z.B. Text-to-Speech (Sprachausgabe/Vorlese-Funktion), Kontrast, Vergrößerung oder die Möglichkeit, um die Farbe zu steuern, um die Lesbarkeit zu verbessern.

Während einige dieser Funktionen einigen Nutzenden helfen können, sind die meisten überflüssig, da sie bereits in den Browsern verfügbar sind oder von der vom Nutzenden gewählten assistiven Technologie (Hilfsmittel) bereitgestellt werden.

Andere Arten von Accessibility Overlays versuchen, Barrierefreiheitsprobleme automatisch direkt auf der Website zu "reparieren", wenn sie genutzt wird. Dies ist jedoch nicht immer zuverlässig und kann die assistiven Technologien beeinträchtigen. 

Es ist nicht akzeptabel, wenn Overlays, Plugins oder Widgets den Zugriff auf die assistiven Technologien des Nutzenden, die Wahl des Browsers und/oder die Funktionen des Betriebssystems beeinträchtigen. 

Accessibility Overlays können erhebliche Probleme verursachen:

  • Nutzende von assistiven Technologien haben ihre Geräte und Browser bereits nach ihren bevorzugten Einstellungen konfiguriert. Die Overlay-Technologie kann die Hilfstechnologie des Benutzers beeinträchtigen und die Benutzereinstellungen außer Kraft setzen. So werden die Benutzer gezwungen, stattdessen das Overlay zu verwenden. Dadurch wird die Website für einige Benutzergruppen weniger barrierefrei und der Zugang zu Inhalten kann verhindert werden. 
  • Die meisten Funktionalitäten, die von Accessibility Overlays angeboten werden, sind Kopien, der bereits in heutigen Browsern und Betriebssystemen vorhandenen Standardfunktionen. Es ist nicht sinnvoll, diese Funktionen mit einem Overlay zu replizieren. Die Sensibilisierung der Nutzenden für Standardfunktionen wäre ein wesentlich effizienterer Weg zur Unterstützung, wenn diese benötigt werden. 
  • Einige Overlays erkennen automatisch, wenn assistive Technologie auf dem Gerät eines Nutzenden verwendet wird. Dies kann zu einem Problem werden, wenn es keine Möglichkeit gibt, sich gegen eine solche Verfolgung zu entscheiden. Hilfstechnologien werden oft mit einer Behinderung in Verbindung gebracht und Informationen über Behinderungen sind sensible persönliche Daten. 
  • Website-Besitzer, die keine Spezialisten für digitale Barrierefreiheit sind, könnten dazu verleitet werden zu glauben, dass Overlays die Barrierefreiheit einer Website "reparieren" können, was nicht der Fall ist. Overlays machen die Website nicht barrierefrei oder konform mit Europäischen Richtlinien zur digitalen Barrierefreiheit. Sie stellen keine akzeptable Alternative oder Ersatz für die Korrektur direkt an der Website dar. 

EDF und IAAP sind sich einig, dass Innovation gefördert werden sollte - allerdings immer mit Vorsicht eingesetzt werden sollte. 

Die digitale Barrierefreiheit ist nicht die Verantwortung des Nutzenden, sondern die Verantwortung des Website-Besitzers. Das Erfüllen von Benutzerbedürfnissen sollte dadurch sichergestellt werden, dass der Code auf der Website den geltenden Gesetzen und Standards für digitale Barrierefreiheit entspricht. 

Wir raten daher den Käufern von Technologie im öffentlichen und privaten Sektor, sich aktiv mit Experten für digitale Barrierefreiheit, Menschen mit Behinderungen und ihren Vertretungsorganisationen zusammenzusetzen. So können sie die Bedürfnisse der Nutzer verstehen und ermitteln, wie diese erfüllt werden können. Nur so wird gewährleistet, dass Inhalte auf allen Geräten barrierefrei und mit assistiver Technologie kompatibel sind. Keine Technologie sollte einer Website hinzugefügt werden, wenn dadurch der Zugang für einige Benutzer verhindert wird. 

Glossar: 

Assistive Technologie: Eine assistive Technologie ist ein behinderungsbedingtes Hilfsmittel, Einrichtung, Dienstleistung oder Produkt-System einschließlich Software, die dazu dient, die funktionalen Fähigkeiten von Menschen mit Behinderungen zu erhöhen, beizubehalten, zu substituieren oder zu verbessern. Beispiele für assistive Technologien sind Hardware wie Braille-Display-Tastatur, Sip-and-Puff-Maus oder Eye-Tracking-Geräte sowie Software wie Bildschirmleseprogramme (Screenreader), Vergrößerungsprogramme (Bildschirmlupen), virtuelle Tastaturen oder Spracheingabeprogramme. 

Browser: Ein Webbrowser ist eine Anwendungssoftware (Benutzeragent), der Inhalte aus dem Internet abruft und auf einem Gerät des Nutzenden anzeigt. Beispiele für Browser sind Google Chrome, Firefox und Safari. 

Browser-Plugin: Ein Browser-Plugin ist eine Software zur Verwaltung von Internetinhalten, die ein Browser nicht verarbeiten kann. Ein Beispiel für ein Browser-Plugin ist Adobe Reader, mit dem Benutzer PDF-Dateien in ihrem Browser anzeigen können. 

Betriebssystem: Ein Betriebssystem ist Systemsoftware, die die Hardware und Software-Ressourcen eines Computers verwaltet und gemeinsame Dienste für Computerprogramme bereitstellt. Beispiele für Betriebssysteme sind Microsoft Windows, MAC OS, Apple iOS und Android. 

Widget: Ein Widget ist eine Funktion, die Informationen anzeigt oder eine spezifische Interaktionsmöglichkeit mit dem Betriebssystem oder einer Anwendung bietet. Beispiele für Widgets sind Schaltflächen und Symbolleisten. 

Über das European Disability Forum 

Das European Disability Forum (EDF) ist eine unabhängige nichtstaatliche Dachorganisation, die die Interessen von über 100 Millionen Menschen mit Behinderungen in Europa vertritt. Weitere Informationen finden Sie auf der EDF-Website.